Joh Sarre
Joh Sarre wurde von Oberbürgermeister Thomas Ebersberger mit dem Preis der Stadt Bayreuth ausgezeichnet.
Würdigung der Leistung
Joh Sarre erhält den Preis der Stadt Bayreuth für die mit summa cum laude ausgezeichnete Dissertation mit dem Titel ‚„Some call it slum, we call it home!” – Aushandlungen von Zugehörigkeit unter den nubischen Einwohner*innen Kiberas, Kenia‘ Bayreuth Interna- tional Graduate School of African Studies (BIGSAS) / Betreuung: Prof. Dr. E. Alber, Sozialanthropologie, Universität Bayreuth). Darin analysiert Joh Sarre alltägliche Aushandlungen von Zugehörigkeiten der nubischen Einwohner*innen Kiberas, dem angeblich größten Slum Afrikas in Nairobi. Ziel dieser mit großer theoretischer Klarheit und beeindruckender Empirie verfassten Arbeit ist, zu zeigen, wie die Nubi in einer wechselvollen (post)kolonialen Geschichte in ihrem Siedlungsgebiet, das sie längst mit vielen anderen Gruppen teilen, Zugehörigkeit und Heimat herstellen und erhalten konnten.
Bei den Nubi handelt es sich um Nachkommen von Söldnern in den britischen Kolonialtruppen, die Kibera urbar gemacht haben und seit über 100 Jahren dort wohnen, jedoch zur Zeit der Forschung (bis 2017) noch vergeblich um die Anerkennung ihrer kenianischen Staatsangehörigkeit sowie um Formalisierung ihrer Landbesitzansprüche auf Kibera rangen. Anders als Angehörige der so genannten „42 tribes of Kenia“ und die meisten Einwohner*innen Nairobis verfügen sie über kein ländliches Homeland als Bezugsgröße und ideelle Heimat. Nach der Unabhängigkeit Kenias verloren sie eine Reihe von Privilegien, zugleich wurde ihr Siedlungsgebiet durch unkontrollierte Urbanisierungsprozesse besiedelt, so dass die Nubi heute als Minderheit in ihrem erklärten Homeland Kibera leben. Diese komplexe Entwicklung zeichnet Joh Sarre mit eindrucksvoller Klarheit nach, und greift dabei neben historischer Literatur auch auf biographische Interviews zurück. Basierend auf der eigenen Forschung analysiert Dr. des Sarre nubische Ortsnamen in Kibera, die von denen der Mehrheitsbevölkerung verschieden sind und an einem scheinbar ‚geschichtslosen‘ Ort Rückschlüsse auf die historische Verbundenheit zwischen Kibera und seinen nubischen Einwohner*innen zulassen. Diese informellen Ortsnamen wurden durch Joh Sarre erstmalig erfasst und systematisiert. Der zweite empirische Teil der Arbeit ist der Analyse von nubischen Hochzeitsfesten und -prozessionen gewidmet. Hier zeigt Sarre durch genaue Beobachtung und differenzierte Analysen, wie durch raumgreifende Praktiken die besondere Verbindung nubischer Slumbewohner*innen zu ihrer Heimat Kibera immer wieder performativ und konkret hergestellt wird. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich Aushandlungen von Zugehörigkeit rund um das Lebensende und dokumentiert nubische Praktiken und Geschehnisse rund um Kiberas einzigen Friedhof.
Kernfrage der Arbeit ist, wie sich Menschen anderen Menschen und Orten zugehörig fühlen, die sie als ‚Heimat‘ ansehen. Damit wendet sich Joh Sarre einem Thema zu, das weit über den konkreten Kontext ihrer Forschung relevant und aktuell ist. Sie zeigt, dass auch in einer globalisierten Welt der multiplen Zugehörigkeiten ganz reale und alltägliche Kämpfe ausgefochten werden müssen,um die Rechte und Pflichten zu verhandeln, die mit Zugehörigkeiten einhergehen. Eine Stärke der Arbeit besteht darin, dass sie die ganze Bandbreite von Zugehörigkeiten aus der Makro- und Mikroebene umfasst und daher sowohl Fragen staatsbürgerlicher Zugehörigkeit wie die nach familiären Bindungen, Klasse und Geschlecht umfasst. Die Frage nach der Bedeutung von ‚Heimat‘ und ‚Zugehörigkeit‘ sowie den Auswirkungen dieser politisierten Begriffe in einer globalisierten, post-kolonialen und von ungleicher Mobilität geprägten Welt sind nicht nur für nubische Slum-Bewohner*innen, sondern auch für viele weitere Kontexte von ungebrochener Brisanz. Damit leistet Joh Sarre nicht nur einen entscheidenden Beitrag zu zentralen Debatten ihrer Disziplin, sondern liefert auch Erkenntnisse von praktischer und politischer Relevanz.
Joh Sarres herausragende Sprachkenntnisse (Kiswahili, Sheng und etwas KiNubi), mehrmonatiges Leben in einem nubischen Slum-Haushalt in Kibera, sowie die Aneignung der notwendigen Fähigkeiten, um sich in Kibera sicher zu bewegen, haben eine Arbeit ermöglicht, die einen einmaligen Einblick in das Alltagsleben eines Slums bietet.
Wichtigste Stationen des Lebenslaufes
Joh Sarre (Jahrgang 1984) absolvierte das Bachelorstudium „Kultur und Gesellschaft Afrikas“ an der Universität Bayreuth. Für das Masterstudium „Cultural Anthropology and Development Sociology“ wechselte Joh Sarre an die Universiteit Leiden, Niederlande.
Zuletzt (bis März 2021) vertrat Joh Sarre die Akademische Ratsstelle am Lehrstuhl für Sozialanthropologie (Prof. Dr. Erdmute Alber), Universität Bayreuth.